Sonntag, 3. April 2011

35

Zärtlich streichelt die junge Frau ihren dicken Bauch, während sie sich schwerfällig erhebt. Diese Schwangerschaft unterscheidet sich so total von ihrer ersten, bei der es ihr nicht einen Tag schlecht ging. Die Monate vergingen da wie im Flug und auch die Entbindung war ein Klacks: 5 Stunden Wehen und nach dreimal Pressen war der gesunde Zwerg da.

Doch dieses Mal gingen die Probleme schon gleich los: wegen vorzeitiger Wehen und einer Muttermundöffnung musste in der 16. Woche eine Cerclage gelegt werden – viel liegen und Schonung waren die Folge.

Doch nun war nur noch ein Monat durchzuhalten – diese 30 Tage müssten doch eigentlich zu schaffen sein!

Schon wieder dieses starke Ziehen im Bauch – obwohl die junge Mutter diese ständigen, vorzeitigen Wehen gewöhnt ist, stöhnt sie leise auf. Seufzend setzt sie sich an den Tisch, doch so richtig kann sie den Kaffee und den Kuchen nicht genießen. Schon wieder eine Wehe! Sie wird aufmerksam und achtet mal auf die Zeitabstände. Sche**e, die kommen ja alle 5 Minuten! Sie hat es geahnt – der Freitag-Nachmittag-heimkomm-Wochenend-einläut-Fi**, auf dessen Recht der werdende Vater wie immer bestand, war mit Sicherheit nur suboptimal.

Sie macht sich Vorwürfe: Warum schafft sie es nie, nein zu sagen, sich durchzusetzen – aber eigentlich weiss sie die Antwort: Sie will nicht wieder 2 Wochen lang völlig ignoriert werden, wohl wissend, dass ihr Mann sich sein Vergnügen dann anderweitig holt.

Nachdem die Wehen nun regelmäßig kommen, packt sie ihre Tasche und lässt sich von ihrem Mann in die Klinik fahren – nicht ohne vorher den anderthalb jährigen Sohn bei ihren Eltern abzuliefern.

Es ist 19 Uhr, als ihr ein wehenhemmender Tropf angehängt wird – der null Wirkung zeigt. Auch in maximaler Dosierung lässt sich die Geburt nicht mehr aufhalten. Die Cerclage muss gezogen werden, dann geht es ganz schnell: am 3. April um 0.24 Uhr kommt ein kleiner Junge zur Welt. Obwohl er schon 3200 gr schwer ist, ist er trotzdem ein Frühchen. 

Und er atmet nicht.

Der Kindernotarzt steht schon bereit und intubiert das kleine Kerlchen sofort. Nicht einmal kann die junge Mutter ihr Kind berühren – mit Blaulicht und Sirene wird ihr Sohn im Inkubator in die nächste Kinderklinik gefahren.

Der Zustand ist kritisch, wird aber jeden Tag ein klein wenig besser. Eines Abends erhält die junge Mutter die erfreuliche Nachricht, dass der Sauerstoff heruntergedreht werden konnte und der kleine Mann schon mitatmet. Glücklich schläft sie darauf hin ein.

In dieser Nacht stirbt ihr Baby – gerade einmal 5 Tage alt.

Das ist nun 35 Jahre her.

Kaum ein Tag vergeht, an dem ich nicht an meinen kleinen Daniel denke. Was wäre wohl aus ihm geworden. Es liegt in der Natur der Sache, dass ich in ihm nur die positivsten Eigenschaften sehe. In meinen Vorstellungen hat er sich zu einem perfekten Menschen entwickelt – leider hatte er keine Chance, dies auch zu werden.

Was würde ich darum geben, heute mit ihm seinen 35. Geburtstag feiern…

10 Kommentare:

  1. ja ... das denke ich bei meiner Kleinen auch immer ... sie wäre heute 15

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  2. Gänsehaut habe ich beim Lesen deiner Zeilen.
    Ich drück dich mal so virtuell.
    Wer selber Mutter ist, kann vielleicht ein klitzekleines bisschen nachvollziehen, was dir da passiert ist.

    P.S. Mein Sohn WIRD im Juli 34 Jahre alt. Und dennoch danke ich jeden Tag dafür, dass die Geburt (bei einer Steißlage) so problemlos lief. An Ultraschall war damals nämlich nicht zu denken.

    Liebe Grüße, Anke

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  3. Zuerst habe ich gedacht, daß es nur irgendeine Geschichte ist. Daß es deine wahre Geschichte ist, habe ich erst ganz am Ende festgestellt. Dein Schicksal geht mir sehr zu Herzen. Ich bin froh, daß ich so etwas nie erleben musste.
    Liebe Grüße von Conny

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  4. Ach Schatzi... ich weine mit dir mit und umarme dich ganz fest!!!

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  5. @ralf beim Schreiben dieser Zeilen musst ich ganz oft an dich denken...

    @anke es war eine schlimme Zeit für mich. Zeit heilt alle Wunden - aber manchmal suche ich heute noch diese Zeit...

    @conny das ist auch das Schlimmste, was eine Mutter erleben kann - dem eigenen Kind ins Grab schauen. Wenn mein Großer nicht gewesen wäre, wäre ich hinterher gehüpft...

    @schatzi nachdem ich gestern Abend gut eingeschlafen bin, bin ich heute Nacht plötzlich aufgewacht, schaue auf die Uhr: es war 00:24! Ich hab spontan angefangen zu weinen - ich hatte das Gefühl, er ruft nach mir... *schnief*

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  6. Oh das macht aber betroffen, eine solche erfahrung wünscht man wirklich keiner Mutter.

    Herzlichst Shoushou

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  7. Man wird die Erinnerungen nie los.
    Meine Kleine würde im Mai 4 werden.
    Erschreckend wie häufig sowas passiert.

    Schlimm finde ich auch die Bemerkung über den Vater. Ich hoffe, da hat sich was geändert!

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  8. @shoushou Das gehört in die Kategorie "Dinge, die die Welt nicht braucht". Man vergisst leider nie!

    @crooks ach du auch! //*mal virtuell fest in den Arm nehm

    Und ja, mit dem Vater hat sich viel geändert: Ich bin schon seit 20 Jahren mit Liebling zusammen. Heute bin ich ein ganz anderer Mensch und würde mir sowas gar nicht mehr gefallen lassen. Liebling hatte es am Anfang nicht leicht mit mir - ich hab immer sofort die Stacheln ausgefahren. *lach*
    Aber auch das Thema 1. Mann habe ich inzwischen abgeschlossen: http://schuemichel.blogspot.com/2010/10/abgeschlossen.html

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  9. Das ist eine richtige Gruselgeschichte,
    mein Beileid!

    Ich glaube aber an die Seele des Menschen, und das sie immer einen Ort findet, wo auch immer der sein mag.

    Lieben Gruß,
    Judith

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  10. @judith Als ich gestern nacht aufgewacht bin, hatte ich ganz stark das Empfinden, als ob er da wäre. Das hatte irgendetwas tröstliches...

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