Dienstag, 8. Dezember 2020

30 Jahre

Die junge Frau genoss die Ruhe und die Erholung. Sie spazierte durch den Schnee im Kurpark und atmete tief die klare, kalte Luft ein.


Sie hatte diese Reha bitter notwendig. Nach einer Scheidung mit üblem Rosenkrieg, einem Hausbau mit viel Eigenleistung, bei der sie jede einzelne Fliese und jede Tapetenbahn in der Hand hatte, einem chaotischen Umzug in das längst noch nicht fertige Haus, dazu einen anstrengenden Vollzeitjob und, nicht zu vergessen, 3 Kindern im Alter von 8 - 16 Jahren, deren finanzielle Absicherung den Kindsvater einen Feuchten interessierte, wog sie noch ganze 46 Kilo. 

Dass sie sich dazu noch einen Bandscheibenvorfall eingefangen hatte, ob durch ihren Job in der Pflege, beim Hausbau, bei der psychischen Belastung oder in der Kombi von allem, machte in dem Zusammenhang nicht mehr viel aus.


Ihre Kinder wurden während ihres Rehaaufenthaltes von ihren Eltern betreut. Sie war sehr dankbar für deren immerwährende Unterstützung und freute sich schon auf den Nachmittag, an dem sie die Beiden und ihre Kids besuchen wollten.


Während ihre Kinder, insbesondere die 8jährige Tochter, wie Kletten an ihr hingen und froh waren, die Mama wieder zu sehen, fragte deren Mutter ganz pragmatisch: "Und? Kurschatten? Isch nix gscheids dabei?"


In Gedanken an den breiten Rücken ein paar Tische vor sich, auf den sie beim Essen immer starrte, sagte die junge Frau nur: "Einer wäre schon dabei, der mir gefallen würde, aber der bemerkt mich noch nicht mal."


Drei Tage später, es war Samstag Abend, ging die junge Frau mit ein paar anderen Rehabilitanden in ein Cafe in der Kurstadt. Es war ein fröhliche, ausgelassene Runde - die junge Frau fühlte sich rundum wohl. Die Tür ging auf und eine weitere Gruppe Kurler trat ein. Dabei war auch der Besitzer des breiten Kreuzes. Ihrer beiden Blicke trafen sich. Die junge Frau hatte das Gefühl, vom Blitz getroffen worden zu sein - es blitzte und donnerte, während sie ihre Blicke nicht voneinander lassen konnten. 


Die neu eingetroffene Gruppe setzte sich an den Nebentisch, immer wieder trafen sich die Blicke der Beiden. Es dauerte nicht lange, bis man sich auf Drängen des jungen Mannes an einen gemeinsamen Tisch setzte, wobei er es so einrichtete, dass er direkt neben der jungen Frau zu sitzen kam.

Wieder zurück in der Klinik hatte die junge Frau alle Mühe, ihren Kavalier zu überzeugen, dass er in sein eigenes Zimmer gehen soll - für einen ONS war sie nicht bereit.


Den Sonntag verbrachten sie zusammen in einer größeren Gruppe, beim Frühschoppen, beim spazieren gehen, beim nachmittäglichen Kaffee. Auch diesen Abend ging die junge Frau wieder alleine auf ihr Zimmer.

Am Montag im Laufe des Vormittags klopfte es an ihrer Zimmertür: ihr Kavalier stand davor. Er kam herein, setzte sich - und verließ bis zu ihrer gemeinsamen Entlassung zwei Tage vor Weihnachten das Zimmer nur noch zum essen, für die Anwendungen und um sich frische Wäsche bei sich zu holen.




Am Entlasstag fuhren die Beiden schnurstracks zu der jungen Frau nach Hause an den Bodensee. An Heilig Abend fuhr der junge Mann dann ins Münsterland, um seine Eltern und seine Schwestern über die neue Situation zu informieren. Seine Wohnung verkaufte er an eine seiner Schwestern, am 2. Januar kam er zurück an den Bodensee und zog mit dem ersten Schwung seiner Besitztümer bei der jungen Frau ein.


Seit dem Blitzeinschlag sind heute 30 Jahre vergangen und es blitzt und donnert immer noch - mal so, mal so. 😉


Fazit: Liebe auf den ersten Blick gibt es. Und sie hält!!!


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